ZESStalk mit Prof. Michael Stelter: Von der Batterieforschung zum Technologietransfer

Prof. Dr. Michael Stelter arbeitete nach dem Studium der Physikalischen Chemie und Elektrochemie mehrere Jahre in der Industrie und entwickelte dort Brennstoffzellen und andere Fahrzeugsysteme. 2005 kam er an das Fraunhofer IKTS und ist dort seit 2013 stellvertretender Institutsleiter sowie Lehrstuhlinhaber für Technische Umweltchemie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2018 übernahm er die Leitung des Fraunhofer-Projektzentrums für Energiespeicher und Systeme in Braunschweig. Im letzten Jahr erhielten Prof. Stelter und sein Team den Thüringer Forschungspreis in der Kategorie „Angewandte Forschung“ für die Entwicklung einer besonders umweltfreundliche Natrium-Batterie zur stationären Energiespeicherung.

Im Februar 2019 fiel der Startschuss für das Projektzentrum für Energiespeicher und Systeme ZESS der Fraunhofer-Gesellschaft. Was steckt hinter der Idee des ZESS und was hat sich seitdem getan?

Der Grundgedanke des ZESS ist es, die Forschungs- und Entwicklungskompetenz dreier starker Fraunhofer-Institute im Bereich von Speichersystemen an einem Ort zu bündeln. Damit können Angebote über die gesamte Wertschöpfungskette gemacht werden: von den grundlegenden Materialien und Technologien über die Produktionstechnik bis hin zu vollständig integrierten, anwendungsfertigen Einheiten. Dafür steht auch das zweite „S“ in ZESS: Systeme, nicht nur Teiltechnologien wie zum Beispiel Batteriezellen.

Damit alle drei Institute schnell eine gemeinsame Forschungseinrichtung in Braunschweig beziehen und ihre Arbeiten vor Ort beginnen konnten, haben wir nach dem offiziellen Startschuss des ZESS zunächst eine Interimslösung für erste Technikums- und Laborarbeiten aufgebaut, die IT in Betrieb genommen und bereits die ersten 15 Mitarbeiter eingestellt. Die Räumlichkeiten können die Wissenschaftler nutzen, bis wir in unser neues Fraunhofer-Gebäude einziehen. Die Feinplanung für den ZESS-Neubau läuft auf Hochtouren. Das Gebäude – ein technischer und architektonischer Leckerbissen – wird bis 2024 fertig gestellt.
 

Die drei Fraunhofer-Institute sind seit Jahren zum Thema Batterieforschung an ihren Heimatstandorten unterwegs. Warum wurde als Standort Braunschweig gewählt?

Braunschweig hat sich in einem niedersächsischen Wettbewerb gegenüber einer zweistelligen Zahl an alternativen Standorten durchgesetzt, weil hier alle wichtigen Faktoren zusammenkommen: Mit der TU Braunschweig und ihrer Battery Lab Factory gibt es einen bundesweit führendenden, hoch kompetenten akademischen Forschungspartner. Das ZESS kann zudem für die Interimslösung das bereits bestehende Niedersächsische Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) nutzen, was uns einen schnellen Start sicherte. Und am Ende steht mit dem Areal am Forschungsflughafen Braunschweig auch ein attraktiver Standort für den ZESS-Neubau mit sehr guter Erreichbarkeit und einem kompetenten technologischen Umfeld zur Verfügung.
 


»Braunschweig bot als Standort im Wettbewerbsvergleich die besten Bedingungen und Entwicklungspartner für eine exzellente Batterieforschung.«



An Speichertechnologien wird weltweit geforscht. Mit der Abdeckung der gesamten Wertschöpfungskette vom Material über Fertigungsverfahren bis hin zur Digitalisierung und Fabrikplanung ist das ZESS breit aufgestellt. Wie ergänzen oder unterscheiden sich diese Forschungsansätze im nationalen und auch im internationalen Vergleich?

Im ZESS werden zunächst einmal auch und vor allem stationäre Speichertechnologien wie Natrium-Batterien und Wasserstoff bearbeitet sowie Lithium-Speicher der nächsten Generation. Dies ist eine strategisch wichtige Ergänzung zu sehr vielen anderen Ansätzen der Batterieforschung in Deutschland und weltweit, die sich derzeit ausschließlich auf klassische Lithiumbatterien und deren Produktion für die Elektromobilität konzentrieren. Künftige Stromnetze werden ein Vielfaches der Speicherkapazität benötigen, die in den nächsten Jahren in Elektroautos verbaut wird. Gleichzeitig müssen die Kosten für solche stationären Systeme noch weiter sinken. An dieser Stelle ist das ZESS hervorragend aufgestellt.

Ein zweiter Punkt ist: im ZESS werden Technologien bearbeitet, die einen Stromspeicher über seinen gesamten Lebenszyklus begleiten. Dazu gehören Methoden der Qualitätssicherung und Qualitätsprüfung, die auch noch bei einem jährlichen Ausstoß von Hunderten Millionen Batteriezellen funktionieren, oder Methoden für die energetische und ökologische Lebenszyklus-Analyse von Stromspeichern von der Produktion über die Nutzung bis hin zum Recycling. All diese Tools und Analysen sind wiederum völlig unabhängig von der konkreten Speichertechnologie und daher ebenfalls eine wichtige Ergänzung zu vielen nationalen und globalen Forschungsansätzen.

In der Kombination decken die drei Trägerinstitute des ZESS dieses gesamte Feld sehr breit und höchst kompetent ab. Die dadurch entstehenden Synergien sind einzigartig und einer der Hauptvorteile des ZESS.
 


»Thematisch bildet das ZESS mit seinen Entwicklungsarbeiten eine strategisch wichtige Ergänzung zu vielen anderen Ansätzen der Batterieforschung in Deutschland und weltweit –  wobei die Bildung der Synergien der drei Fraunhofer-Institute innerhalb der Batterieforschung einzigartig ist.«



Forschungsschwerpunkte im ZESS sind unter anderem Festkörperbatterien und Wasserstofftechnologien. Warum setzt das ZESS auf diese Technologien und welche Industriebranchen können davon profitieren?

Das ZESS setzt besondere Schwerpunkte in den Bereichen Wasserstofftechnik, Natrium-Batterien und Lithium-Festkörperbatterien. Dies sind Systeme, die nicht oder noch nicht im Fokus der Automobilindustrie stehen. Dadurch ergeben sich hervorragende Andockpunkte insbesondere für Unternehmen aus den Bereichen Energieanlagenbau, Fertigungsmesstechnik und Automatisierung sowie Produktionstechnik. Diese Branchen sind sehr mittelständisch geprägt. Das ZESS unterstützt damit besonders kleine und mittlere Unternehmen, die sich auf diese neuen Felder orientieren, dort ihre zukünftigen Märkte sehen und vielleicht sogar Innovationsführer werden wollen. Das gesamte Technologietransfer-Know-How der Mutterinstitute plus deren regionale, nationale und globale Netzwerke stehen dafür am ZESS zur Verfügung.
 


»Mit den Forschungsschwerpunkten Wasserstofftechnik, Natrium-Batterien und Lithium-Festkörperbatterien können wir auch Entwicklungen im Energieanlagenbau, in der Fertigungsmesstechnik und Automatisierung sowie Produktionstechnik vorantreiben«.



Ein großes Thema ist Nachhaltigkeit und »grüne Energietechnik«. Die Gewinnung der Rohstoffe spielt hier eine entscheidende Rolle. Und wenn man die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet, so ist die Wertstoffrückgewinnung ein wesentlicher Bestandteil und wird in der Gesetzgebung zunehmend gefordert. Wie wird am ZESS die ökologische und ökonomische Betrachtung integriert?

Am ZESS wird dies insbesondere auf dem Weg der sauberen Bilanzierung, Simulation und Modellierung adressiert. Die ZESS-Forscher erarbeiten Modelle der Fertigungs- und Recyclingprozesse von Energiespeichern in einem sehr hohen Detailgrad – bis hinunter auf Maschinenebene – und quer über alle verfügbaren Speichertechniken. Möglich ist das durch die Synergie zwischen den Mutterinstituten, die einen sehr breiten Bereich von Energiespeichern abdecken. Durch die genaue Kenntnis der industriellen Herstellprozesse heutiger und künftiger Speicher kann natürlich auch erstmals eine präzise und vergleichende Bewertung beliebiger Speicher erfolgen. Dies erfolgt hinsichtlich ökonomischer Parameter – also Herstellkosten – und gleichzeitig hinsichtlich ökologischer Parameter – beispielsweise durch eine rigorose Ökobilanzierung.

Damit können künftige Speichersysteme sehr gut zwischen niedrigen Kosten und ökologischer Nachhaltigkeit ausbalanciert werden. Beides ist gleichermaßen wichtig für die Akzeptanz bei Nutzern und in der Bevölkerung. Am ZESS gehören deshalb Ökonomie und Ökologie zusammen!
 


»Am ZESS erarbeiten wir Modelle zu Fertigungs- und Recyclingprozessen von Energiespeichern in einem sehr hohen Detailgrad, sodass eine präzise Bewertung ökonomischer und ökologischer Parameter über alle verfügbaren Speichertechniken möglich ist«.



Herr Prof. Stelter, wie ist Ihre Prognose? Welche der unterschiedlichen Technologieentwicklungen wird sich in welchem Segment durchsetzen? Über welche Rohstoffe müssen wir uns noch mehr Gedanken machen oder substituieren? Und wie kann sich die Industrie darauf vorbereiten?

Wir erleben gerade eine der spannendsten Perioden in der Energietechnik der letzten zwei Jahrhunderte. Das Energie- und Mobilitätssystem wird an allen Stellen massiv umgebaut – und zwar gleichzeitig! Eine unüberschaubare Vielzahl von neuen Technologien drängt derzeit auf den Markt, und nicht immer „gewinnt“ das technisch scheinbar sinnvollste System. Auch Akzeptanzfragen in der Bevölkerung spielen eine wichtige Rolle, dessen sind wir uns auch am ZESS immer bewusst. Um in diesen wilden Zeiten nicht den Überblick zu verlieren, hilft zuweilen tatsächlich ein Blick auf die Rohstoff- und Ressourcensituation, die mit den einzelnen Anwendungen verknüpft ist, denn wir sprechen ja hier von globalen Maßstäben, nicht von einzelnen Laborkuriositäten. Im großen Stil können sich nur Technologien durchsetzen, für die auch die Rohstoffe verfügbar sind, und diese Rohstoffe müssen sowohl ökologisch nachhaltig zu gewinnen als auch geostrategisch zugänglich sein.

Persönlich glaube ich daher, dass bei Fahrzeugen die Lithiumbatterie die führende Technik ist und bleibt, inklusive der Nachfolgegenerationen, die wir ja auch am ZESS entwickeln. Neue Generationen von Lithiumzellen werden immer weniger problematische Materialien wie Kobalt enthalten – wir am ZESS arbeiten bereits dran. Da dennoch das Lithium endlich ist, sollte die Industrie hier insbesondere auf Recyclingtechniken achten. Die Elektroautos von heute sind unsere Lithium-Bergwerke von morgen.

Bei stationären Speichern ist der Bedarf an Kapazität dagegen derart groß, dass dies langfristig – in den nächsten 15 bis 20 Jahren – meiner Meinung nach keinesfalls mit Lithiumzellen abgedeckt werden kann. Dafür braucht es sehr viel kostengünstigere Systeme, die sich aus unproblematischen, einheimischen Rohstoffen herstellen lassen. Die Natriumbatterie ist hierfür ein Beispiel – eine ihrer Hauptrohstoffe ist einfaches Kochsalz. Wasserstoff dagegen ist nicht nur ein potenziell günstiger Energiespeicher – durch seine Eigenschaft, gleichzeitig auch ein Energieträger zu sein, eröffnet er vielfältige Möglichkeiten der Sektorkopplung.

Industrieunternehmen, die hier einsteigen wollen, sollten insbesondere all die innovativen Geschäftsmodelle untersuchen, die mit den neuen, extrem kostengünstigen Speichern möglich sein werden. Hier sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt, die Geschäftsmöglichkeiten gehen weit über den viel beschriebenen „Heimspeicher für Photovoltaik“ hinaus. Von großen Speicherkraftwerken für Windparks über Premium-Power für Rechenzentren bis zu Anwendungen in der Mobilitätsinfrastruktur ist alles dabei. Wir am ZESS beraten gern!